RefuBees and the City

Totemismus

Written by hans kalliwoda

9 Oktober 2023


Totemismus: Alte Praktiken und moderne Kunst


Hans Kalliwoda hat sich im Rahmen seiner Doktorarbeit mit dem Totemismus befasst, einer alten heidnischen Praxis, die für ihre Fähigkeit bekannt ist, starke gemeinschaftliche Bindungen zu fördern. Im Laufe der letzten zehn Jahrtausende haben sich die Totemtraditionen in den verschiedenen Kulturen weltweit auf vielfältige und dynamische Weise verändert. Diese Veränderungen haben zu einer reichen Vielfalt an Variationen sowohl in der visuellen als auch in der performativen Dimension des Totemismus geführt, wobei letztere verschiedene rituelle Aspekte umfasst. Trotz der bemerkenswerten Vielfalt dieser Ausdrucksformen zieht sich ein roter Faden durch alle: die Fähigkeit, den sozialen Zusammenhalt zu fördern.


Totemismus als innovative Methode im Rahmen sozialer Skulpturen


Kalliwodas künstlerische Bemühungen haben zur Entwicklung innovativer Methoden im Rahmen der sozialen und dynamischen Skulptur geführt. Diese Skulpturen gehen über die konventionelle Auffassung eines bloßen ‚Straßenobjekts‘ hinaus und sprengt den konventionellen Rahmen von ‚Kunst im öffentlichen Raum‘ indem sie die Anwohner aktiv einbeziehen und sie zu Eigentümern und Verwaltern des Kunstwerks machen. Charakteristisch für diesen unkonventionellen Kunstansatz ist, dass sie interkulturell ist und Menschen unabhängig von ihrer Religion, ihrem kulturellen Hintergrund oder ihrer Altersgruppe willkommen heißt. Außerdem ist sie zugänglich, so dass sie von einem breiten und unterschiedlichen Publikum angenommen werden kann, was wiederum Einheit und Integration fördert.


Die Wurzeln des Totemismus neu interpretieren


Kalliwoda hat sich daran gemacht, das Konzept des Totemismus, das ihn seit jeher fasziniert, neu zu interpretieren und anzupassen. Er vertritt die Auffassung, dass die genauen Ursprünge des Totemismus ungewiss sind und möglicherweise auf eine Zeit zurückgehen, in der Höhlenmalereien entstanden sind. Diese Ursprünge sind jedoch wahrscheinlich in einer vor-religiösen Ära zu suchen, in der die menschlichen Gesellschaften als „heidnisch“ bezeichnet werden. In dieser Zeit waren die Spiritualität und die Glaubenssysteme dieser heidnischen Gesellschaften in hohem Maße von Naturphänomenen beeinflusst, und es bestand ein starkes Gefühl der Verbundenheit mit der Natur. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass sich Spuren dieser Denkweisen in den verschiedenen ethnischen Gruppen bis in die Gegenwart erhalten haben.


Verbindung zwischen Mensch und Natur


Im Gegensatz dazu haben die „modernen“ organisierten Religionen oft die Vorstellung propagiert, dass der Mensch von der natürlichen Welt getrennt ist und sogar über ihr steht. Diese Ideen und Ansätze, die Teil der Hyper-Individualität sind, haben sich bis heute gehalten. Während viele Ideen der Renaissance den Anthropozentrismus (das auf den Menschen bezogene Denken) verstärkten, gab es auch Kritiker dieser Perspektive. Einige Denker stellten die Annahme in Frage, dass die Natur nur zum Nutzen des Menschen existiert. Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau hob die Bedeutung eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Umwelt hervor und plädierte aus ethischer Sicht für ein harmonischeres Verhältnis zwischen Mensch und Natur.


Funktion und Interpretation des Totemismus


Wenn man die historischen Perspektiven auf dieses Phänomen auf wissenschaftlicher Ebene untersucht, stößt man auf ein Spektrum von Interpretationen, Konzepten und Hypothesen. So betonte Frazer in seiner Arbeit über den Totemismus die Funktion der Solidarität, die Menschen in sozialen Gruppen zusammenführt. Er schlug vor, dass totemistische Arten als Speicher für die Seele fungieren. Später schlug er die wirtschaftliche Grundlage des Totemismus auf der Grundlage der Intichiuma-Riten der Aborigines der Zentralwüste vor. Freud bezog den Totemismus in seine psychodynamische Analyse kultureller und religiöser Formen ein und brachte ihn mit ödipalen Schuldgefühlen und der Ermordung des Urvaters in Verbindung. Arnold van Gennep und später Claude Lévi-Strauss setzten die Debatte fort. Vor allem Lévi-Strauss kritisierte das Konzept des Totemismus und reduzierte es auf ein bloßes Klassifizierungssystem ohne eine substanzielle analoge Beziehung zwischen Totem und sozialer Einheit.


Totemismus in der Praxis


In der Praxis beinhaltet der Totemismus die Symbolisierung sozialer Gruppen durch natürliche Arten. Er kann von universalisierten Systemen, die alle Aspekte der Erfahrung umfassen, bis hin zu spezifischen Zuschreibungen von Merkmalen oder Eigenschaften an Einzelpersonen auf der Grundlage ihrer totemistischen Zugehörigkeit reichen. Die totemistische Symbolisierung ist häufig in umfassenderen kosmologischen Systemen enthalten und kann sozialen Gruppen Bedeutungen und Identitäten verleihen, die über eine einfache Kennzeichnung hinausgehen. Beispielsweise kann in einigen indigenen Kulturen ein bestimmtes Tier als totemistisches Symbol eines bestimmten Stammes oder einer Gemeinschaft angesehen werden. Dies ist weit mehr als nur ein Symbol, denn es spiegelt die Überzeugungen und Werte der Gemeinschaft wider und gibt ihr ein Gefühl der Identität und der Zugehörigkeit zur natürlichen Welt.


Parallelen zum Maibaum: Kulturelle Symbole und Gemeinschaft


Der Maibaum hat bestimmte Gemeinsamkeiten mit dem Totemismus, vor allem was die Verwendung von Symbolen, die Bindung an die Gemeinschaft und die Verbindung zur Natur betrifft. Der Maibaum ist eine kulturelle Tradition, die die Werte und die Identität der Gemeinschaft widerspiegelt, die ihn aufstellt, so wie der Totemismus die Werte und die Identität der Gruppen widerspiegelt, die ihn praktizieren.  In fast allen Gemeinden gibt es auch heute noch Zünfte, die oft bestimmte Bräuche und Traditionen pflegen und so die Bedeutung der Handwerkskünste in der Gemeinde bewahren. Die Maibäume mit den Zunftzeichen können somit auch als Symbol für die Weitergabe und Wahrung dieser Traditionen dienen. Es ist wichtig zu betonen, dass die Symbole auf einem Maibaum sehr individuell sind und oft von der Geschichte und Traditionen der jeweiligen Region oder Gemeinde abhängen.


Insgesamt ist der Totemismus, der oft mit ‚primitivem Denken‘ in Verbindung gebracht wird, ein komplexes kulturelles Phänomen, das ein kompliziertes Wechselspiel zwischen konkreten Bildern und abstrakten Referenzen beinhaltet, wobei verschiedene Gesellschaften je nach ihrer sozialen Struktur entweder die symbolische Differenzierung durch natürliche Arten oder andere Mittel wählen. Diese Wahl hat nichts mit Primitivität zu tun, sondern ist Ausdruck der komplementären Beziehung zwischen sozialer Form und symbolischen Varianten.


Bild: Beispiele von Totems, die im öffentlichen Raum aufgestellt werden und aus verschiedenen Kulturkreisen stammen

You May Also Like…

Wirksame temporäre Zufluchtsorte

Wirksame temporäre Zufluchtsorte

Verhinderung des Massensterbens: Die dringende Notwendigkeit, urbane Landschaften in vorübergehende Zufluchtsorte zu...

Kunst/Wissenschaft

Kunst/Wissenschaft

Kunst und Wissenschaft bilden ein dynamisches Wechselspiel, das die Bedeutung ihrer kooperativen Partnerschaft...